Golf ist die schönste Nebensache der Welt. Finden zumindest wir Golfer. Und deshalb fiel und fällt es auch so schwer, in diesen unruhigen Zeiten Verzicht zu üben. Inmitten der Corona-Pandemie zuhause zu sitzen, statt draußen auf dem Platz den Schläger zu schwingen. Doch Golf kann dann, wenn wir irgendwann einigermaßen zu einem Normalzustand zurückkehren, eine wichtige Rolle spielen. Und auf diesem Tag x wollen wir alle bestens vorbereitet sein.
Eine Krise, sagt Dr. Thomas Wörz, ist auch eine Chance für Sportlerinnen und Sportler, noch stärker zurückzukommen. Wörz muss es wissen. Er ist Sportwissenschaftler, Psychotherapeut und Buch-Autor. Früher war er selbst als Leistungssportler erfolgreich, startete im Viererbob unter anderem bei den Olympischen Winterspielen in Calgary 1988. Inzwischen vertrauen viele Spitzensportler auf seine Expertise. Wörz bereitet zum Beispiel Skisportler und Golfer auf Herausforderungen und Wettkämpfe vor. Im Golf-Alpin-Interview verrät er, wie wir gut vorbereitet aus dem Golf-Lockdown kommen.
Herr Dr. Wörz, wir leben gerade in einer schwierigen Zeit. Sind Mental-Trainer und Sportpsychologen denn momentan als Ratgeber und Zuhörer mehr gefordert als sonst?
Dr. Thomas Wörz: Generell würde ich das nicht sagen. Die Zusammenarbeit läuft in diesen Zeiten anders, vermehrt in Online-Coachings. Ich arbeite aber in erster Linie mit den Spitzensportlern zusammen. Für die hat sich auch in Pandemiezeiten wenig geändert. Sie durften trainieren und hatten ihre Wettkämpfe. Bei Sportlern, die schon lange keine Wettbewerbe mehr bestreiten durften und sich nicht verwirklichen können, werden motivationale Themen immer deutlicher.
Da wären wir schon bei den Golfern. Die Plätze waren geschlossen im Lockdown, dann kam der Winter. Viele Sportler beklagen, ihnen sei durch die lange Pause das Trainingsziel abhandengekommen. Wie hält man die Motivation in dieser ungewissen Phase am besten aufrecht?
Wörz: Eine solche Krise ist auch eine Chance. Denn die Konkurrenz wird weniger. Es gibt Menschen, die sehr darunter leiden. Dadurch sinkt ihr Selbstwert, sie verlieren das Vertrauen in die eigenen Stärken und somit den Anschluss an die Spitze. Klar, es ist ein Geduldspiel. Aber es gibt trotzdem viele Bereiche, die man trainieren kann. Zum Beispiel Athletik, Koordination und mentale Techniken. Man kann an Defiziten arbeiten in diesen Bereichen, die man in der normalen Wettkampfzeit gerne mal vernachlässigt. Man kann sich gezielt mit Stärken und Schwächen beschäftigen.
Haben Sie dazu konkrete Tipps?
Wörz: Eine Möglichkeit ist, sich mental mit schwierigen Herausforderungen zu konfrontieren. Zum Beispiel Golfplätze und Spielbahnen zu visualisieren und sich Strategien zu überlegen. Grundsätzlich ist es wichtig, in dieser Phase kreativ und in Bewegung zu bleiben. Bloß nicht runterziehen lassen!
#comebackstronger ist inzwischen recht gebräuchlich, wenn sich Sportler in sozialen Medien Mut zusprechen. Vor allem nach Verletzungen. Wie komme ich denn tatsächlich stärker zurück?
Wörz: Solche Unterbrechungen beinhalten in der Tat etwas Positives. Man ist gezwungen, sich zu erholen und Körper und Geist eine Pause zu gönnen. Ich kenne viele, die aus Verletzungen kamen und stärker waren als vorher. Das liegt auch daran, dass man nach einer solchen Pause erst einmal keine großen Erwartungen hat, der große Druck ist weg, man kann eigentlich nur überraschen. Zur Weiterentwicklung trägt es außerdem bei, Störfaktoren zu analysieren und Strategien mental durchzuspielen. Auch bei Corona sind es die Kreativen, die an sich arbeiten und durchstarten werden. Es liegt immer an einem selbst.
Und wenn der Mental-Coach selbst auf die Runde geht, was ist dann die positivste und wichtigste Eigenschaft, um ein gutes Ergebnis nach Hause zu bringen? Man abgesehen von guter Technik und entsprechendem Training …
Wörz: Grundsätzlich ist es die Philosophie: neuer Schlag, neues Spiel. Jeder Ball, egal wo er liegt, ist als eigene Einheit zu betrachten. Wenn ich diese Philosophie verlasse, denke ich möglicherweise zu weit voraus. Dann komme ich in ein Score-Denken und das setzt mich unter Druck. Mit den Gedanken bin ich dann mehr im Ergebnis, also in der Zukunft. Es ist aber die große Kunst, im Hier und Jetzt zu bleiben.
Viele Golfer werden bei Wettspielen dazu verleitet, irgendwann nach zehn, elf Löchern damit zu beginnen, Netto-Punkte zusammenzuzählen. Ein großer Fehler, oder?
Wörz: Ja, da kommen aber auch noch andere Faktoren dazu. Eben genannte Spielphilosophie setzt auch voraus, dass ich in der Lage bin, jeden Schlag mental abzuschließen. Die meisten Golfer haben das Problem, dass sie nach einem schlechten Schlag den Ärger und die Enttäuschung oder nach einem guten Schlag Freude und Euphorie mitnehmen in den nächsten Schlag. Doch Freude und Ärger kosten viel Energie. Denn Emotionen steuern uns. Freude macht grundsätzlich schneller. Was passiert dann? Ich bereite mich weniger genau auf den nächsten Schlag vor, kann es schon gar nicht mehr erwarten, dass es weitergeht. Die Vorbereitung wird deutlich reduziert, leichtsinnig und schlampig. Die Enttäuschung hingegen macht langsamer. In diesem Fall muss ich mich innerlich puschen, um wieder auf Touren zu kommen. Sonst rutsche ich ganz schnell in einen negativen Kreislauf ab und werde zum Opfer.
Überspitzt gesagt, ist also nur der Golfer erfolgreich, der keine Emotionen zulässt?
Wörz: Nein, das würde ich nicht sagen. Wenn man einen guten Schlag gemacht hat, darf man sich auch freuen. Aber danach sollte man wieder tief durchatmen – und sich neu fokussieren. Der beste Golfer ist derjenige, der – bei guten technischen und athletischen Voraussetzungen – seine Routine über 18 Loch Schlag für Schlag konsequent durchzieht. Der die Pause zwischen den Schlägen nutzt, mental kurz abschalten und sich anschließend wieder fokussieren kann. Wir haben in der Vergangenheit sehr viele Messungen gemacht. Dabei hat sich gezeigt: Die Weltklasse zeichnet sich dadurch aus, dass die Routine vor einem Schlag zum Beispiel beim langen Spiel zeitlich konstant ist. Auch in extremen Drucksituationen. Das ist schon eine immense Kunst.
Was mache ich aber, wenn ich schon ängstlich und unsicher zum nächsten Abschlag gehe?
Wörz: Dann suchen sie sich bestimmte mentale Tools, die sie in ihre Vorbereitung einbauen.
Nämlich?
Wörz: Die Routine vor dem Schlag beginnt immer mit einem bestimmten Marker. Zum Beispiel mit Durchatmen und einer Zielvisualisierung. Man stellt sich die Flugbahn vor. Zwei, drei Eigenschaften, wie der eigene Schwung sein sollte. Zum Beispiel locker und befreit. Das versucht man, schon im Probeschwung umzusetzen. Wichtig ist: groß machen, Schultern zurück. Die einfachste Mentaltechnik, um gute Stimmung und Selbstbewusstsein zu erzeugen, ist der aufrechte, entspannte Gang über den Platz, unabhängig von der emotionalen Lage. Die Körpersprache spielt eine bedeutende Rolle. Und es gibt den Trick der Entscheidungslinie. Wenn ich diese Linie überschreite, dann bin ich bereit, es zu tun. Ohne Wenn und Aber. Viele Golfer gehen zum Ball voller Zweifel und Unsicherheit. Bestes Beispiel dafür ist der Abschlag an einem Inselgrün. Man braucht eine innere Synchronisation zwischen Hirn und Körper, also genau diese Entscheidungslinie. Ich habe über 30 Jahre lang Weltklasse-Sportler beobachtet und befragt. Ich wollte wissen, was ihnen vor dem Start oder dem Abschlag durch den Kopf geht. Diejenigen, die nicht erfolgreich sind, sagen: Der Druck sei groß gewesen. Am liebsten hätten sie es gehabt, das Ganze sei schon vorbei, bevor es überhaupt losgeht. Sie sind also mental aus der Situation geflohen. Die Erfolgreichen hingegen sagen, sie hätten auch Druck und Stress gehabt. Aber im Moment des Starts oder des Abschlags, seien sie entschlossen gewesen, die Herausforderung genau jetzt anzunehmen. Entschlossenheit im Denken wirkt sich auf unser Nerven-Muskel-System günstig aus. Daher: Selbstbewusst und zielsicher. Das ist der große Unterschied.
BUCHTIPP: Dr. Thomas Wörz, Die mentale Einstellung, 3. Auflage
In seinem Buch erklärt der Autor auf schlüssige Weise, wie der optimale Leistungszustand in den unterschiedlichsten Bereichen des Lebens hergestellt werden kann, wie Körper und Geist zu einer Einheit verschmelzen können.